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Die Unerwünschten

Donnerstag 2. Juli 2009

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Es gibt immer mehr Unerwünschte auf dieser Welt. Es gibt zu viele Männer und Frauen, für die diese Gesellschaft nur eine Rolle vorgesehen hat: Jene zu krepieren. Als Tote in dieser Welt oder gegenüber sich selbst; nur so wünscht sie sich die Gesellschaft.

Als Arbeitslose dienen sie dazu, diejenigen, die Arbeit haben, dazu anzutreiben, jegliche Demütigung hinzunehmen, um sie zu behalten. Als Isolierte dienen sie dazu, diejenigen, die sich als Bürger betrachten, glauben zu machen, dass sie ein wirkliches Gemeinschaftsleben führen (zwischen dem Papierkram der Autorität und den Warenregalen). Als Migranten dienen sie dazu, bei denjenigen Proletariern, die sich einsam mit ihrem Nichts im Büro, in der Metro oder vor dem Fernseher befinden, die Illusion aufrechtzuerhalten, Wurzeln zu haben. Als Illegale dienen sie dazu, in Erinnerung zu rufen, das es nicht das schlimmste ist, sich der Lohnarbeit zu unterwerfen – es gibt auch Zwangsarbeit und die Angst, die einem bei jeder Routinekontrolle den Bauch einschnürt. Als Abgeschobene dienen sie dazu, die Erpressung mit der Verbannung in ein Elend ohne Rückkehr bei all den ökonomischen Flüchtlingen des kapitalistischen Genozids zu verstärken. Als Gefangene dienen sie dazu, denjenigen, die von dieser elendigen Existenz nichts mehr wollen, mit dem Schreckgespenst der Bestrafung zu drohen. Als ausgelieferte Staatsfeinde dienen sie dazu, verstehen zu machen, dass es in der Internationale der Herrschaft und Ausbeutung keinen Platz für das schlechte Beispiel der Revolte gibt.

Arm, isoliert, überall fremd, eingesperrt, vogelfrei*, verbannt: die Lebensbedingungen dieser Unerwünschten werden immer mehr geteilt. Auch der Kampf kann daher geteilt werden, auf der Grundlage der Verweigerung eines Lebens, das mit jedem Tag prekärer und künstlicher wird. Bürger oder Ausländer, Unschuldige oder Schuldige, Illegale oder Regularisierte: diese Unterscheidungen der staatlichen Gesetzbücher gehören uns nicht länger an. Wieso sollte die Solidarität diese sozialen Grenzen respektieren, während die Armen unaufhörlich von der einen zur anderen geschleppt werden?

Wir sind nicht mit dem Elend solidarisch, sondern mit der Tatkräftigkeit, mit der die Männer und Frauen es nicht mehr über sich ergehen lassen.

Der Traum eines Pergaments

In den Tiefen des Flusses, worin die Geschichte dahinfliesst, scheint ein Traum dem Verschleiss der Zeit und der schonungslosen Kette von Generationen stand gehalten zu haben. Seht das vergilbte Pergament jenes Kodes aus der Renaisance, seht diese Hotzschnitte auf dem Papier, die uns in die Jugend eines soeben verstrichenen Jahrtausends zurückversetzen. Ihr werdet von Kardinalen berittene Esel und die ewig Hungernden sich freudig in der Nahrung ertrinken sehen, ihr werdet niedergetrampelte Kronen sehen, ihr werdet das Ende der Welt – oder besser – die verkehrte Welt sehen. Hier ist nun dieser Traum, hier ist er, nackt, und erzählt von sich selbst in einer fünf Jahrhunderte alten Gravur: die Welt zu töten, um sie fassen zu können, sie Gott zu rauben, um sie sich anzueignen und sie endlich mit unseren eigenen Händen zu gestalten. Die nachfolgenden Epochen haben diesem Traum stets unterschiedliche Gestalt verliehen. Er verkleidete sich als Bauer während den Aufständen des Mittelalters und als Halbstarker während des Mai 68, als italienischer Arbeiter während der Fabrikbesetzungen und als englischer Weber zu Zeiten, als die ersten industriellen Webereien aufgebracht mit Hämmern kaputtgeschlagen wurden. Das Verlangen die Welt umzustürzen, tauchte immer dann wieder auf, wenn es die Ausgebeuteten verstanden, jene Fäden, die sie untereinander verbinden, zu ergreifen, jene Fäden, die von den unterschiedlichen Ausbeutungsformen verknüpft und durchtrennt wurden. Denn diese Formen sind es, die die Armen gewissermassen “organisieren†: sie konzentrieren sie in den Fabriken oder Vierteln, in den Grossstadtghettos oder vor dem selben Arbeitslosenamt, während sie ihnen ähnliche Lebensbedingungen und ähnliche Probleme aufzwängen, die es täglich zu lösen gilt. Lasst uns kurz innehalten, in den Tiefen unserer Erinnerungen graben und uns auf die Erzählungen unserer Väter besinnen. Die Fabrik im Nebel oder der Schweiss der Felder unter der gleissenden Sonne, die Grauen einer Kolonialbesetzung, die einem die Früchte der Erde entreisst, oder der immer höllischere Takt einer Presse, die dir in irgendeinem “kommunistischen†Staat verspricht, dich – eines Morgens, der niemals kommt – von der Ausbeutung zu erlösen. Mit jedem dieser Bilder unserer Vergangenheit können wir die unterschiedlichen Vereinigungen der Ausgebeuteten verknüpfen, und somit die konkreten Grundlagen der Kämpfe, mit denen sie die Welt umzustürzen und die Ausbeutung zu beseitigen versuchten.

Nun da wir, Kinder solch unterschiedlicher Erinnerungen und Revolten, uns Seite an Seite wiederfinden; welches ist der Faden, der uns verbindet? Was hat uns aus Maghreb oder aus dem Osten, aus Asien oder dem Herzen Afrikas hierher gebracht? Wieso erkennt selbst jener, der schon immer hier wohnte, die Erde nicht mehr, wieso findet er sie so anders vor, als jene aus seiner Erinnerung?

Ein missformter Planet

Wenn wir die Geschichte der letzten dreissig Jahre aufmerksam betrachten, können wir eine Entwicklungslinie erkennen, eine Reihe von Modifikationen, die den Planeten grundlegend verändert haben. Diese neue Situation wird für gewöhnlich mit dem Begriff der “Globalisierung†definiert. Es handelt sich nicht um endgültig feststehende Gegebenheiten, sondern um Veränderungen, die – in jedem Land mit seinen eigenen Rythmen und Besonderheiten – noch immer in Gang sind und uns erlauben, ein paar Vorhersagen zu wagen. Lasst uns dennoch erst eine weitverbreitete Vorstellung über die “Globalisierung†loswerden. Schon immer hat das Kapital auf der globalen Leiter nach zu erobernden Märkten und einer zum Tiefstpreis auszubeutenden Arbeitskraft gesucht, das ist also nichts Neues. Was hingegen neu ist, das sind die Instrumente, um dies zu tun: dank der technologischen Entwicklung kann das Kapital diese Tendenz mit einer Geschwindigkeit und mit Auswirkungen realisieren, die vor ein paar Jahren noch unvorstellbar waren. Es gibt daher keinen Bruchpunkt zwischen dem alten und dem heutigen Kapitalismus, genausowenig wie es je einen “guten†, sich auf nationaler Grundlage entwickelnden Kapitalismus gegeben hat, zu dem man zurückkehren sollte – wie es uns die zahlreichen Gegner des “Neoliberalismus†glauben lassen wollen. Von 1973 (das Datum, das für gewöhnlich den Beginn des Informatikzeitalters markiert) bis Heute hat sich das Kapital nie wesentlich verändert, es ist nicht “bösartiger†geworden. Es verfügt schlicht über ein paar zusätzliche Waffen, die aber so mächtig sind, dass sie den Planeten missformt haben. Zur Vereinfachung der Analyse betrachten wir diesen Prozess durch die jeweiligen Veränderungen, die in drei unterschiedlichen geografischen Zonen stattfanden: in den ehemaligen Kolonialländern, den früheren sogenanten kommunistischen Ländern und den westlichen Ländern.

Die unerwünschten Kinder des Kapitals

Wie wir wissen, haben die alten Kolonialgebiete mit der Erlangung ihrer Unabhängigkeit keineswegs die Beziehungen mit ihren Kolonialisierern unterbrochen; im Gegenteil, in den meisten Fällen wurden diese Beziehungen schlicht modernisiert, und zwar nicht ohne diverse Erschütterungen. Während die alte koloniale Ausbeutung hauptsächlich auf den möglichst billigen Aufkauf von Rohstoffen abziehlte, die im Westen benötigt wurden, so sind ab einem gewissen Zeitpunkt ganze Phasen der industriellen Produktion in die ärmsten Länder verlagert worden, um von den sehr niedrigen Arbeitskosten zu profitieren. So niedrig, dass sie die Kosten des Rohstrofftransportes, der Maschinen und der fertigen Produkte, ebenso wie den Preis für die Finanzierung der lokalen Regime deckten, welche die öffentliche Ordnung und den ruhigen Produktionsverlauf garantierten. Jahrelang hat sich das westliche Kapital über diese Länder hergemacht und somit ihr soziales Gewebe tiefgehend umgeformt. Die alten bäuerlichen Strukturen sind zerstört worden, um der Industrialisierung Platz zu machen, die gemeinschaftlichen Bande wurden zerrissen und die Frauen proletarisiert. Eine riesige Menge an Arbeitskräften, die man der Erde entriss, fanden sich – genau wie in Europa im vergangenen Jahrhundert – verlohren in den Slums auf der Suche nach Arbeit wieder. Diese Situation hielt so lange ihre brutale Stabilität aufrecht, wie die von den Westmächten angesiedelte, verarbeitende Industrie einen beträchtlichen Teil der zum Verkauf stehenden Hände, auch anstellen konnte. Doch ab einem gewissen Zeitpunkt begann eine Fabrik nach der anderen zu schliessen. Da oben im Norden hatte sich etwas verändert: Die Arbeitskraft ist mit jener aus dem Süden wieder konkurrenzfähig geworden. Die Fabriken einmal geschlossen, verblieben nun dort diese neuen Proletarier; zahlreich und unnütz.

Im Osten ist die Situation nicht viel besser. Die sogenannten kommunistischen Regime haben eine Wüste hinterlassen; der gewaltige und überholte Produktionsapparat blieb den alten Bürokraten und dem westlichen Kapital als Erbe. So haben sich die Kinder und Kindeskinder dieser Ausgebeuteten – die neben der allwöchentlichen Sklaverei der Lohnarbeit auch die Pfaffenrethorik der “Köche an der Macht†und des proletarischen Internationalismus ertragen mussten – als Arbeitslose wiedergefunden: Industrielle Restrukturierung fordert, wie bereits gesagt, immer auch Entlassungen. Wie es schon bei den alten Kolonien der Fall war, so hat sich jedes westliche Land seine ökonomischen und politischen Einflusszonen in den Gebieten des ehemaligen Warschauer Paktes aufgeteilt, indem sie jenen Teil der Produktion dorthin verlagerten, der am meisten Arbeitskräfte benötigte. Aber das war bloss ein Tropfen im Meer, denn die Anzahl Armer, die für ihre Meister unnütz geworden sind, war immens. Im Osten sowie im Süden hat die Schuldenerpressung, die der Internationale Währungsfond und die Weltbank ausübten, diesen Prozess auf entscheidende Weise beschleunigt.

Und so beginnt im Süden und im Osten der lange Marsch dieser nicht gewünschten Kinder des Kapitals, dieser Unerwünschten. Doch für diejenigen, die bei sich bleiben, ist das Schicksal nicht besser. Die sozialen Konflikte, die von den ebenso enormen wie plötzlichen Veränderungen hervorgerufen wurden, sind in die ethnischen und religiösen Diskurse eingeschrieben – neue und immer blutigere Kriege lauern um die Ecke. Für diejenigen, die den Weg der Emmigration wählen, genauso wie für diejenigen, die bleiben sind die einzigen Gewissheiten das Elend und die Enteignung. Alles Bedauern ist vergebens.

Bis gestern

Und was ist unterdessen im Westen passiert? Die Veränderungen verliefen etwas weniger heftig, aber parallel zu jenen in der restlichen Welt. Die grossen Industrieanlagen, die einen beträchtlichen Teil der Armen einstellten und lange die Physiognomie der Städte bestimmt haben – und somit die Mentalität, die Art zu leben und zu revoltieren der Ausgebeuteten – sind verschwunden. Zum Teil, weil sie – wie wir gesehen haben – in ärmere Länder verlegt wurden; zum Teil, weil es möglich war, sie zu zerstückeln und auf dem Gebiet neu zu verteilen. Dank der Entwicklung der Technologie sind die Produktionszyklen nicht nur nach bis nach automatisiert, sondern auch dem eigentlichen Chaos des Marktes besser angepasst worden. Früher benötigte das Kapital Arbeiter, die das erforderliche Wissen und die erforderliche Kompetenz besassen, um auf mehr oder weniger autonome Weise ein Fragment des Produktionszyklus zu beherrschen; also Arbeiter, die ein ganzes Leben lang in der selben Fabrik blieben und die selben Aufgaben ausführten. Heute ist das nicht mehr so. Die geforderten Kenntnisse werden immer begrenzter und austauschbarer, es gibt keine Wissensanhäufung mehr, da jede Arbeit mit den anderen identisch ist. Der alte Mythos der Vollbeschäftigung wurde durch die Ideologie der Flexibilität ersetzt, das heisst, durch die Prekarität und die Zerschlagung der alten Errungenschaften: Man muss sich allem anpassen, sogar an wöchentliche Verträge, an die illegale Ökonomie oder an die definitive Verbannung aus dem produktiven Kontext. Diese Veränderungen sind dem gesamten Westen gemein, doch an gewissen Orten sind sie so schnell und so radikal gewesen, dass die allgemeinen Arbeitskosten mit jenen des Südens und des Ostens konkurrenzfähig geworden sind. Und so kam es einerseits dazu, dass die Rückkehr des Kapitals die Ökonomie der ärmsten Länder destabilisiert hat – mit Kriegen und Migration als Konsequenz – und anderseits zur Verschlechterung der materiellen Lebensbedingungen der westlichen Ausgebeuteten.

Die kommenden Revolten

Es ist deutlich, dass die Veränderung im Westen teilweise – wenn auch gewaltsam – von dem, was vom alten “Sozialstaat†übrig blieb, gedämpft wurde, aber vor allem auch von der Tatsache, das eine gute Anzahl der Prekarisierten die Kinder von alten Proletariern sind, und somit indirekt – durch ihre Familien – alte Errungenschaften “geniessen†. Dennoch wird es genügen, eine weitere Generation vorbeiziehen zu lassen und die Prekarität wird die meist verbreitete soziale Bedingung sein. Und daher werden wir, die Kinder der alten, industriellen Welt, ökonomisch gesehen immer nutzloser sein, de facto vereinigt mit der Vielheit von Unerwünschten, die an unseren Küsten stranden. Mit dem Vergehen der Jahre und der Vollendung dieser Tendenz verlieren all die Bewegungen ihren Sinn, die gegenüber einem eingegrenzten Teil der Ausgebeuteten (Immigranten, Arbeitslose, Prekarisierte, usw.) eine äussere Unterstützung zu erbringen versuchen. Die Ausbeutungsbedingungen werden für alle gleich sein und somit wirklich gemeinsamen Kämpfen die Pforten öffnen. Hier ist nun endlich der Faden, der uns alle verbindet, Arme von tausend Ländern, Erben von solch verschiedenen Geschichten: das Kapital selbst hat die verlorenen Familien der menschlichen Gattung in dem Elend vereint. Das Leben, das sich am Horizont abzeichnet, wird unter dem Zeichen der Prekarität gelebt werden. Sorgfältig von der Evolution der Ausbeutung errichtet, ruhen hierrin die modernen, materiellen Grundlagen für die alten Träume von Freiheit, liegt hierin der Ort der zukünftigen Revolten.

Die zweiköpfige Hydra

Unter den radikalen Demokraten und dem “linken Volk†gibt es viele, die dem Staat in den Entscheidungen, die über unseren Köpfen getroffen werden, eine rein dekorative Rolle zusprechen. Zusammengefasst definiert man eine globale Hierarchie, deren Gipfel die grossen Finanzmächte und multinationalen Konzerne sind und deren Basis sich aus den Nationalstaaten zusammensetzt; diese würden immer mehr zu Dienern werden, zu schlichten Ausführern von unwiderruflichen Entscheidungen.

All dies verleitet zu einer Illusion, die bereits Trägerin von übleren Folgen ist. Denn jene, die den Kämpfen, die sich etwas überall gegen bestimmte Aspekte der “Globalisierung†entwickeln, eine reformistische und gewissermassen nostalgische Wende aufdrängen wollen, sind zahlreich: Mit der Verteidigung des “guten†, alten Nationalkapitalismus und zugleich jener des alten Modells der staatlichen Intervention in die Ökonomie. Niemand bemerkt indes, dass die ultra-liberialen Theorien, die zurzeit in Mode sind, und die keynesianischen Modelle, die es bis vor kurzem noch waren, schlicht zwei verschiedene Formen der Ausbeutung vorschlagen.

Zweifellos können wir angesichts des heutigen Stands der Dinge nicht abstreiten, dass unser ganzes Leben von globalen, ökonomischen Anforderungen bestimmt wird, dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Politik ihre Schädlichkeit verloren hat. Den Staat als ein nunmehr fiktives Gebilde zu denken oder ihn ausschliesslich als Regulierer von sozialen Konflikten (Gericht und Polizei, sozusagen) zu betrachten, ist einschränkend. Unter den Kapitalisten ist der Staat derjenige, der die Lebensfunktionen für alle anderen gewährleistet. Gleichwohl neigt seine Bürokratie, die an die Führungkräfte der Unternehmen gebunden, ihnen aber nicht untergeordnet ist, vor allem dazu, ihre eigene Macht zu reproduzieren.

Der Staat entwickelt sich selbst, indem er dem Kapital die Grundlage bereitet. Es sind die staatlichen Strukturen, die den fortschreitenden Abbau der Schranken von Zeit und Raum – eine essentielle Voraussetzung für die neue Form der kapitalistischen Herrschaft – ermöglichen, indem sie das Territorium, die Fonds und die Forschungen liefern. Die Möglichkeit, die Waren immer schneller zirkulieren zu lassen, wird beispielsweise durch Autobahnen, Luft- und Seewege, Hochgeschwindigkeitszüge, usw. gewährleistet: Ohne diese staatlich organisierten Strukturen wäre die “Globalisierung†gar nicht vorstellbar. Auf dieselbe Weise sind die Datenverarbeitungsnetze nichts anderes, als ein anderer Gebrauch der alten Telefonkabel: Jegliche Neuerung in diesem Sektor (Satelitenkommunikation, Glasfaserkabel, usw.) wird, um es noch einmal zu sagen, von den staatlichen Apparaten sichergestellt. So wird also auch die andere Anforderung der globalen Ökonomie (die Zirkulation von Daten und Kapital innerhalb von wenigen Sekunden) befriedigt. Auch in Bezug auf Forschungen und technologischen Fortschritt spielen die Staaten eine zentrale Rolle. Von der Atomkraft bis zur Kybernetik, von Untersuchungen über neue Materialien bis zur Gentechnologie, von der Elektronik bis zu den Telekommunikationsmitteln: die Entwicklung der technischen Macht ist an die Fusion der industriellen, wissenschaftlichen und militärischen Apparate gebunden.

Wie jeder weiss, muss sich das Kapital von Zeit zu Zeit einer Restrukturierung unterziehen. Das heisst, es muss die Ansiedlungen, das Tempo, die Qualifikationen und somit die Beziehungen unter den Arbeitern verändern. Diese Veränderungen sind oft derart radikal (Massenentlassungen, höllisches Arbeitstempo, brutale Reduzierung der Sicherheiten, usw.), dass sie die soziale Stabilität so sehr ins Wanken bringen, dass Interventionen politischer Art notwendig werden. Die sozialen Spannungen sind manchmal so stark, die syndikalistische Polizei so machtlos und die Restrukturierungen so dringend, dass die Staaten keine andere Lösung finden, als den Krieg.

Auf diesem Weg leitet man die soziale Wut nicht nur zu falschen Feinden um (die Anderen, im ethnischen oder religiösen Sinne, beispielsweise), sondern kurbelt auch die Ökonomie wieder an: die Militarisierung der Arbeit, die Waffenausgabestellen und die Senkung der Löhne haben die Reste des alten industriellen Systems bis zum Maximum rentabilisiert, während die allgemeinen Zerstörungen ihren Platz einem moderneren Produktionsapparat und ausländischen Investierungen überlassen. Für die Unerwünschten – die rastlosen und überzähligen Ausgebeuteten – wird die soziale Intervention direkter: die Vernichtung.

Einer der Wesenszüge dieser Epoche sind die immer massiveren Migrationsströme in die westlichen Metropolen. Die Migrationspolitik – der Wechsel zwischen Öffnung und Schliessung der Grenzen – wird nicht vom Sensibilitätsgrad der Regierenden festgelegt, sondern ergibt sich aus den Versuchen, mit einer immer schwieriger zu verwaltenden Situation fertig zu werden und Profit aus ihr zu ziehen. Einerseits ist es nicht möglich, die Grenzen hermetisch abzuriegeln, andererseits ist ein kleiner Prozentsatz von Migranten nützlich – vor allem wenn sie illegal und somit der Fronarbeit ausgeliefert sind –, da sie eine gute und billige Reserve an Arbeitskräften darstellen. Zur gleichen Zeit jedoch bringt die Massenklandestinität schwer zu kontrollierende soziale Konflikte mit sich. Die Regierungen müssen sich zwischen diesen Anforderungen hindurch navigieren. Das gute Funktionieren der ökonomischen Maschinerie hängt davon ab.

Genauso wie der globale Markt die Ausbeutungsbedingungen vereint, ohne deswegen den Konkurrenzkampf unter Kapitalisten zu beseitigen, so existiert auch eine vielstaatliche Macht, die die Herrschaftsprojekte koordiniert, ohne den politischen und militärischen Wettstreit unter den verschiedenen Regierungen aufzulösen. Ökonomische und finanzielle Abkommen, Gesetze über Arbeitsflexibilität, die Rolle der Syndikate, die Koordination von Armeen und Polizeikräften, die ökologische Verwaltung der Umweltverschmutzung, die Repression der Abweichung – all dies wird auf internationaler Ebene festgelegt. Die Ausführung dieser Entscheidungen kommt dennoch jedem Staat einzeln zu, der sich der Sache gewachsen zeigen muss. Der Körper dieser Hydra sind die techno-bürokratischen Strukturen. Die Anforderungen des Marktes verschmelzen nicht nur mit jenen der sozialen Kontrolle, sie benutzen auch die selben Netze. Die Bank-, Medizins-, Polizei-, und Versicherungssysteme beispielsweise tauschen sich ihre Daten fortwährend aus. Die Allgegenwart von Magnetkarten verwirklicht eine generalisierte Fichierung der Geschmäcker, Einkäufe, Bewegungen und Gewohnheiten. Das alles unter den Augen von immer weiter verbreiteten Überwachungskameras und inmitten von Mobiltelefonen, die die virtuelle und selbst fichierte Version einer sozialen Kommunikation gewährleisten, die nicht mehr existiert.

Ob Neoliberalismus oder nicht, die Intervention des Staates auf dem Territorium und in unsere Leben wird mit jedem Tag totalitärer, ohne deswegen von der Gesamtheit der Produktions-, Distributions- und Reproduktionsstrukturen des Kapitals getrennt zu sein. Die unterstellte Hierarchie zwischen der Macht der multinationalen Konzerne und jener der Staaten existiert de facto nicht, denn sie operieren in gegenseitiger Symbiose für jene anorganische Macht, die nur einen einzigen Krieg am führen ist: Den Krieg gegen die Autonomie der Menschen und gegen das Leben auf Erden.

Der Name der Mörder

Seit dem Tag ihrer Eröffnung werden die Abschiebungsgefängnisse für illegale Immigranten (centri di permanenza temporanea) von einer langen Reihe von Revolten gezeichnet. Im Innern dieser Strukturen werden Ausländer, die auf ihre Abschiebung warteten, unter unmenschlichen Lebensbedingungen eingeschlossen. Es ist schwierig hierüber zu sprechen – besonders nach der viel zu langen Liste von Toten, die im Laufe der Revolten getötet wurden –, ohne Gefahr zu laufen, in engstirniges Gerede zu verfallen, wie es unter den (mehr oder weniger staatlichen, das spielt keine Rolle) Organisationen beliebt ist, die solche Experten sind, wenn es darum geht, das Blut zu instrumentalisieren. Es interessiert uns nicht euch zu Emotionen oder zu einem kollektiven Bittgesuch für die Schliessung dieser Knäste aufzufordern. Der Tod dieser Ausländer steht neben dem Mord an Millionen von anderen Ausgebeuteten, Männern und Frauen, die von den Kriegen, der Arbeit, der Zerstörung von Gebieten, dem Gefängnis oder, auf speditivere Weise, durch einen Schuss aus der Pistole eines Polizisten getötet wurden. Hören wir auf, jenen zu glauben, die sagen, dass es sich um Missgeschicke oder blutige Machtmissbräuche handelt: Es handelt sich um Routine. Alle Opfer dieses globalen Schlachthauses gehen auf die Rechnung des Kapital und der Staaten. Gegenüber dem törichten Pietismus, gegenüber den christlichen Häppchen auf Tränenbasis, gegenüber denjenigen, die die Migranten ausserhalb der “Lager†wollen, solange sie ruhig sind, und im Gefängnis, wenn sie schuldig sind, gegenüber denjenigen, die gerne eine Welt hätten, die mehr oder weniger wie diese ist, aber etwas “menschlicher†, gegenüber denjenigen, die von einem weniger blutigen Kapital träumen, oder gegenüber denjenigen, die solche Ereignisse ausnutzen, um ihre eigene “revolutionäre†Kapelle auszuweiten – in einem Wort, gegenüber jenen, die die Solidarität innerhalb der Unterdrückung predigen, ziehen wir die Komplizität in der Revolte vor. Kein Kampf kann von den anderen getrennt werden, denn jede Realisierung der Herrschaft ist zu tiefst mit den anderen verbunden. Es ist sicherlich wichtig, die Abschiebungsgefängnisse zu schliessen, doch dies vom Staat zu fordern, will schlicht heissen, ihn anzustossen, effektivere und weniger sichtbare Formen der Kontrolle und Repression zu finden. Ausserdem bedeutet zu denken, dass diese Zentren blosse physische Strukturen sind, all die Arterien zu verbergen, die seine Existenz ermöglichen. Von dem Roten Kreuz, das sie mitverwaltet, bis zu den Unternehmen, die sie Erbauen, und den Lebensmittellieferanten: sie alle sind ein Teil der Ausschaffungsgefängnisse. Auch sie sind Mörder.

Übersetzt aus dem Französischen und Italienischen
Frühling 2010
Originaltitel: Gli indesiderabili/Les indésirables,
Pantagruel (Pont St Martin-AO) & Sans Patrie (Paris),
März 2000